Der Streit ums Eigenheim: Bunter wohnen – statt schwarz weiß malen
Das Einfamilienhaus, bald verboten? In Deutschland ist dieser Tage eine erstaunliche Diskussion entbrannt. Leider ist sie geprägt von Halbwahrheiten und schrägen Argumenten. Sieben Fakten, um wieder auf den Boden zu kommen.
Seit gut zwei Wochen jagt ein Diskussionsbeitrag zum Einfamilienhaus den anderen. Etwas unklar ist, ob der Auslöser des politischen Aufruhrs wirklich nur das Neubau-Verbot für diese Kategorie im Bezirk Hamburg-Nord war oder vielleicht doch ein Artikel auf Welt.de mit der provokanten Überschrift: „Beliebt, aber bald verboten? Das Ende des Einfamilienhauses“. Wohlgemerkt mit nur einem Fragezeichen versehen und nicht zweien.
Den vorläufigen Höhepunkt des medialen Schlagabtausches hat der Chef der Grünen-Bundestagsfraktion Anton Hofreiter im Interview mit dem Magazin „Der Spiegel“ gesetzt. Dass er das Wörtchen „enteignen“ in den Mund nahm, erzeugte bei vielen besonders viel Schaum vor eben jenem. Dabei ging es im Wesentlichen um Grundstücke mit ungeklärten Besitzverhältnissen, die zu Hängepartien in der Ortskern-Entwicklung führen. Zudem sind Enteignungen grundgesetzkonform ohnehin nur mit Entschädigung möglich. In der Debatte ist das aber eher ein Nebenkriegsschauplatz. Vieles andere, was Hofreiter gesagt hat, ist auch aus der Sicht von Bausparkassen, deren Geschäftszweck in der Finanzierung von Wohneigentum besteht, nicht wirklich skandalös, manches sogar vernünftig. Dazu gehört vor allem der Hinweis, dass über den Wohnungsbau vor Ort entschieden wird – und weiter werden soll.
Doch gerade weil die Diskussion so übereifrig geführt wird und eine weitgehend sachliche Wortmeldung der Grünen noch lange nicht bedeutet, dass die Idee vom „Verbot des Einfamilienhauses“ nicht trotzdem in vielen Köpfen herumspukt, sollen hier ein paar Fakten und Argumente geradegerückt werden.
Fakt 1: In Deutschland werden gleichermaßen neue Mehr- und Einfamilienhäuser gebaut.
Deutschland hat in den vergangenen zehn Jahren per Saldo fast 3 Millionen neue Einwohner hinzugewonnen. Dass sich die Wohnungsknappheit ohne Neubau nicht beheben lässt, dürfte also kaum zur Diskussion stehen. Und es wird gebaut – noch nicht genug, aber immerhin: Im Jahr 2019 zählte die Statistik knapp 41 Millionen Wohnungen, davon 19,1 Millionen in Ein- und Zweifamilienhäusern und 21,5 Millionen in Mehrfamilienhäusern. In beiden Kategorien kam binnen zehn Jahren jeweils etwa 1 Million Wohnungen dazu.
Zwar ist der Anteil der Ein- und Zweifamilienhäuser am Wohnungsbestand auf dem Land mit gut 60 Prozent viel höher als in den Großstädten, wo er nur bei 20 Prozent liegt. Geändert hat sich an diesen Relationen aber schon lange nichts mehr. Der Stellenwert des Einfamilienhauses ist seit Jahr und Tag der gleiche. Allerdings entwickelte sich der Neubau von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern in jüngerer Zeit deutlich dynamischer – sogar auf dem Land. Und das wiederum zeigt einmal mehr, dass bedarfs- und nachfragegerechtes Bauen anscheinend auch ohne Holzhammer ganz gut, sprich relativ flächenschonend klappt.
Fakt 2: Der Neubau von Einfamilienhäusern schafft auch bezahlbare Mietwohnungen für Geringverdiener.
Was zunächst etwas paradox klingt, ist bei genauerem Hinsehen ganz logisch – und wird regelmäßig durch Studien bestätigt. In neue Häuser ziehen zumeist Familien auf der Suche nach mehr Platz. Sie machen dann oft eine größere Wohnung frei, die – zum Beispiel – ein kinderloses Paar mietet oder auch kauft. Wenn dabei zwei Menschen zusammenziehen, geben sie vielleicht sogar zwei kleinere, günstigere Mietwohnungen frei. Nicht immer verlaufen Umzugsketten so idealtypisch, aber unterm Strich führt der Neubau auch von Einfamilienhäusern erwiesenermaßen dazu – auch das ein Fazit der Studien –, dass weniger Bestandswohnungen hochpreisig modernisiert werden und so für Geringverdiener erschwinglich bleiben.
Fakt 3: Leerstand entsteht vor allem in (unattraktiven) Mehrfamilienhäusern.
Fast alle Diskussionsteilnehmer malen das Schreckensszenario der leer stehenden Einfamilienhäuser auf dem Land an die Wand. Es ist jedoch ein Zerrbild. Die Auswertungen des Datenportals empirica regio, basierend auf den Angaben der Statistischen Landesämter, sprechen dazu eine glasklare Sprache: Bundesweit stehen immer weniger Einfamilienhäuser leer, auch in dünn besiedelten Kreisen. Die Zahl der leer stehenden Wohnungen in Mehrfamilienhäusern steigt dagegen überall. Es käme aber niemand auf die Idee, deshalb den Geschosswohnungsbau zu verbieten. Im Gegenteil: Wohnungen stehen leer, weil dort niemand mehr wohnen will – zum Beispiel wegen ihres schlechten Zustands oder weil das Umfeld nicht stimmt. Gerade deshalb müssen wir aufpassen, dass wir heute nicht den Leerstand von morgen bauen – was zum nächsten Punkt überleitet.
Fakt 4: Die Wohnform sollte zum Wohnort passen.
In der Stadt dominieren Mehrfamilienhäuser, auf dem Land Einfamilienhäuser, und am Stadtrand gibt es beides. Das hat zum einen städtebauliche Gründe: Neue freistehende Einfamilienhäuser würden mitten in der Stadt wie Fremdkörper wirken, genauso eine Mietskaserne auf dem Dorf. Zum anderen nehmen Menschen, die weiter außerhalb wohnen, oft weitere Fahrtstrecken für die Dinge des täglichen Lebens in Kauf, sei es der Weg zur Arbeit, der Arztbesuch oder der Einkauf. Es ist nur recht und billig, sich für diese zusätzliche Belastung auch einen zusätzlichen Nutzen in Form von mehr Wohnfläche und einem Garten zu wünschen. Wer dies unterbinden will, würde vor allem dafür sorgen, dass in den ländlicheren Gegenden nicht die wohnen, die es wollen, sondern die, die es aus finanziellen Gründen müssen.
Deutschlands Stärke, auch seine wirtschaftliche, fußt seit jeher auf der Dezentralität. Die mittelständischen Familienunternehmen, gerne als Herz der deutschen Wirtschaft bezeichnet, haben ihren Sitz nicht in München, Berlin oder Leipzig, sondern im Sauerland und im Schwarzwald. Allerdings zieht es vor allem junge Menschen zunehmend in die Städte – und das bedeutet nicht zuletzt: Fachkräftemangel in der Provinz. Der ländliche Raum sollte daher nicht noch zusätzlich durch eine zu restriktive Wohnungsbaupolitik geschwächt werden.
Diese Überlegungen sprechen jedoch nicht dagegen, hier wie dort einen kleineren Flächenverbrauch anzustreben: In den Städten ermöglichen Townhouses – das sind schmale, mehrstöckige Reihenhäuser mit einem kleinen Garten – flächensparendes Einfamilienhaus-Wohnen in der Stadt. In den Vororten und ländlicheren Gemeinden lässt sich der Entstehung von sogenannten Donut-Dörfern, also ausufernden Neubausiedlungen und innerörtlichem Leerstand, mit einer Förderpolitik à la Jung kauft Alt begegnen, die das Wohnen auf bestehenden Siedlungsflächen unterstützt und so zum Erhalt von lebendigen Ortskernen beiträgt.
Und natürlich können sich auf dem Land auch überschaubare Mehrfamilienhäuser mit Balkonen und Gemeinschaftsgarten oder Reihenhäuser gut in ein Ortsbild fügen. Die städtebauliche Devise sollte also lauten: nicht schwarz-weiß malen, sondern bunter wohnen.
Fakt 5: Wohneigentum ist vor allem deshalb eine gute Altersvorsorge, weil es zu niedrigeren Wohnkosten führt.
Grünen-Fraktionschef Hofreiter hat einen wichtigen Punkt angesprochen – und dann doch nur ein populäres Vorurteil wiedergegeben, als er behauptete, das Haus als Rentengarantie sei ein gefährlicher Mythos. Begründung: In schrumpfenden Gegenden verlören Häuser an Wert. Tatsächlich ist nicht einmal das richtig: Laut Immobilienpreisindex von empirica steigen die Kaufpreise von gebrauchten Einfamilienhäusern in Regionen mit sinkender Einwohnerzahl seit dem Jahr 2017 spürbar, echte Wertverluste gab es zuletzt vor der Finanzkrise 2009. Ende 2020 übertrafen die Quadratmeterpreise für bestehende Einfamilienhäuser in schrumpfenden Regionen das Niveau von 2005 um immerhin 36 Prozent – und davon bleibt auch nach Abzug der Inflation noch etwas übrig: Die Preissteigerung lag in diesem Zeitraum nämlich nur bei 23 Prozent.
Gleichwohl ist das eigentlich nicht der Punkt: Denn Wohneigentum ist vor allem deshalb eine gute Altersvorsorge, weil es die Wohnkosten im Rentenalter verringert. Und zwar kräftig, wie eine Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2019 ergeben hat: Ältere Mieterhaushalte verwendeten demnach im Jahr 2016 im Schnitt rund 34 Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens zur Deckung ihrer Wohnkosten, Eigentümerhaushalte dagegen nur 15 Prozent. Dazwischen können gerade bei schmalerem Altersbudget schon einmal Welten an Lebensqualität liegen.
Fakt 6: Ältere Menschen ziehen ungern um – egal, ob sie in einem Haus oder einer Wohnung leben.
Noch so ein verbreitetes Argument, um Einfamilienhäuser zu diskreditieren: Wenn die Kinder aus dem Haus seien, heißt es, würden die Eltern weiter dort wohnen bleiben und zu viel wertvolle Wohnfläche für sich beanspruchen. Dieses Phänomen jedoch betrifft eben nicht nur Häuser, sondern auch Wohnungen. Kürzlich ergab eine Befragung des Deutschen Instituts für Altersvorsorge, dass drei Viertel der über 50-Jährigen auch in höherem Alter im bisherigen Wohnumfeld bleiben möchten. Es mag der Moment kommen, wo dies zum Problem bei der Bewältigung des alltäglichen Lebens wird – die Lösung aber liegt sicher nicht im Verbot von Einfamilienhäusern. Denn im Umkehrschluss hieße dies ja, Familien auf möglichst wenig Wohnraum zu zwängen. Und wer will das schon – erst recht nach den Erfahrungen, die wir gerade in einer Pandemiezeit machen?
Fakt 7: Am Eigenheim scheitert der Klimaschutz nicht – im Gegenteil.
Sogenannte Plus-, Null- und Niedrigenergiehäuser werden nicht erst seit gestern gebaut. Neue Ein-und Zweifamilienhäuser entsprechen ohnehin den aktuellen energetischen Standards. Tatsächlich sind Eigenheimbewohner sogar Vorreiter in Sachen Klimaschutz: Sie nutzten laut KfW-Energiewendebarometer viel häufiger moderne Energiewendetechnologien als Mieter in Mehrfamilienhäusern beziehungsweise deren Vermieter. Das Gros der heute schon regenerativ beheizten Wohnungen ist selbst genutztes Eigentum. Worum es jetzt unter dem Aspekt des Klimaschutzes geht, ist die CO2-Emissionen im Gebäudebestand zu reduzieren, und das funktioniert am besten über eine Förderung. Diese wurde Anfang 2020 für Selbstnutzer schon erheblich verbessert, und sie wird auch gut in Anspruch genommen. Womöglich gibt es hier eher noch Nachholbedarf für vermietetes Eigentum.
Oft thematisiert werden im Kontext des Klimaschutzes auch die längeren Pendelstrecken, zu denen das Wohnen im Grünen führt, so auch von Hofreiter. Diese Feststellung lässt sich nicht von der Hand weisen, aber auch dafür gibt es Lösungsansätze jenseits eines Verbots. Sie reichen von Co-Working-Spaces in alten Bauernhöfen über Radschnellwege bis hin zum Ausbau des guten alten ÖPNV. Erwähnt sei auch, dass E-Bikes und E-Autos immer stärker zu einer gleichermaßen umweltfreundlichen wie komfortablen Mobilität beitragen.
Zur Rolle der Bausparkassen
Last but not least noch ein Hinweis in eigener Sache: Den Bausparkassen wird immer wieder unterstellt, dass sie den Traum vom Häuschen im Grünen zu stark promoten und damit perpetuieren würden. Richtig ist, dass die Bausparkassen das gesellschaftlich wichtige Thema Wohneigentumsbildung wachhalten. Wo und wie die Menschen wohnen wollen, ob in der Eigentumswohnung im Prenzlauer Berg, in der Doppelhaushälfte im Speckgürtel von Berlin oder jwd im Resthof, das können und wollen sie nicht beeinflussen.
Eigentumsbildung findet heutzutage keineswegs ausschließlich auf dem Land statt. Die Landesbausparkassen setzen sich vielmehr aktiv dafür ein, dass Menschen auch in den Städten zu den eigenen vier Wänden gelangen können. Die Themen lauten dann beispielsweise Nachverdichtung, Dachgeschossausbau und Bauen auf kleinen Grundstücken, wie eine Collage aus Beiträgen der LBS-Kundenzeitschrift „Das Haus“ veranschaulicht.
Deshalb auch noch ein Wort zum Neubauverbot für Einfamilienhäuser in Hamburg-Nord: Die Entscheidung ist nachvollziehbar und aus Hamburger Sicht vielleicht sogar sinnvoll, um mehr Menschen das Wohnen – auch in Eigentum – innerhalb der Stadtgrenzen zu ermöglichen. Zumal das nötige Grundstück für ein Einfamilienhaus in Langenhorn ohnehin kaum noch jemand bezahlen kann. Schon jetzt sehen sich jene, die sich nach einem Einfamilienhaus sehnen, vermutlich eher im angrenzenden Schleswig-Holstein um.
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